Mittwoch, 16. Mai 2012

Trampelt nicht fröhlich auf der Erde herum, Ihr Sünder!

FIKTIONEN
Spiegel, 15. Mai 2012: "Planet in Not"
Zitat: "Ökologisch gesehen lebt die Menschheit weit über ihre Verhältnisse. Laut einer WWF-Studie wird die Natur so stark beansprucht, dass eigentlich 1,5 Erden nötig wären, um den Ressourcenbedarf nachhaltig zu decken. Die Folgen für die Lebensräume von Tieren und Pflanzen sind dramatisch." Link zum Artikel.

Focus, 15. Mai 2012: "WWF - Die Menschheit bräuchte 1,5 Erden"
Zitat: "Der ökologische Fußabdruck – ein paar Nummern zu groß: Laut einer Studie der Umweltschutzorganisation beansprucht die Menschheit das Okösystem derart, dass sie rein rechnerisch die Kapazität von anderthalb Erden benötigen würde." Link zum Artikel.

FAKTEN
Nun wissen wir es endlich genau: Wir leben nicht auf einer Erde, sondern auf 1,5 - wir Deutschen sogar auf 2,8 Erden, denn der deutsche "Ökologische Fußabdruck" (pro Kopf) ist 5,09 Hektar groß. Link zu Footprint-deutschland.de. 

Damit sind wir aber längst nicht Weltmeister, das ist, wer hätte das gedacht - Katar, gefolgt von Kuwait, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Dänemark und den USA. Der Bösewicht vom Dienst braucht immerhin 5 Erden. Dann liegen weiterhin unter den ersten 10 Erdverbrauchern - Belgien, Australien, Kanada, die Niederlande und Irland (bekanntlich auch die "grüne" Insel genannt).

Wir Deutschen liegen weit abgeschlagen auf Platz 30 der "Footprint-Rangliste". Wer hätte das gedacht?

Bevor wir untersuchen, warum uns besonders die kleinen Ölscheichtümer nicht auf die vorderen Ränge der Schuhgröße gelassen haben, eine kurze Erläuterung, was ein sein soll:

Es ist laut footprint-deutschland ein "Nachhaltigkeitsindikator, welcher den Ressourcenverbrauch mit der Biokapazität der Erde in Relation setzt. Dabei ist der Ökologische Fußabdruck nicht nur für Personen oder Haushalte berechenbar, sondern auch für Nationen bzw. Regionen. Zusätzlich können Produkte und Dienstleistungen mit dem Ökologischen Fußabdruck bilanziert werden. Insbesondere ist der Ökologische Fußabdruck auch ein Gerechtigkeitsindikator, denn er basiert auf der Grundannahme, dass allen Menschen gleich viel zur Verfügung steht. Dazu wird die Kapazität der Erde wie im Folgenden beschrieben unter allen Menschen aufgeteilt ...". 

Damit hätten wir dann drei der wichtigsten Worthülsen in Gebrauch, ohne deren Verwendung es heutzutage kein Politiker oder sonst wie Verantwortlicher wagt, an die Öffentlichkeit zu treten: Ökologisch, nachhaltig, gerecht. Die Debatte über deren Bedeutung sowie die inflationäre und irreführende Benutzung dieser Begriffe sollte in den Kommentaren und in anderen Posts geschehen.

Und endlich verfügen wir mit diesem "Nachhaltigkeitsindikator" über die im Kampf gegen die übermächtige "Technik- und Fortschrittsmafia" lang vermisste Waffe des allgemein gültigen Bewertungs-Massstabs für Naturressourcen. 

Laut footprint-deutschland und footprintnetwork http://www.footprintnetwork.org/en/index.php/GFN/ und speziell http://www.footprintnetwork.org/en/index.php/GFN/page/2010_living_planet_report/ werden zur Berechnung der "ökologischen Fussabdrücke" die folgenden Kategorien menschlich "betretener", bzw. benutzter Flächen verwendet:
  • Weideland (Grazing)
  • Ackerland (Cropland)
  • Siedlungsfläche (Built-up Land)
  • Wald (Forest)
  • Fischgründe (Fishing)
  • Kohlenstofffläche (Carbon): Dies ist die Fläche, welche benötigt wird, um die Kohlenstoffemissionen zu binden.
Wir erkennen: Die Waffe ist aus Papier, sie sticht nicht und sie schneidet nicht. Es werden bei der Berechnung des Fussabdrucks nicht nur Äpfel mit Birnen verglichen, sondern auch Schwiegermütter mit Aktienkursen (immerhin sind beide viersilbig, also doch irgendwie vergleichbar, oder?). Bei Weideland, Ackerland, Siedlungsflächen und Wald handelt es sich immerhin um verhältnismässig klar unterscheidbare und geografisch klar umrissene Flächen. Bei Fischgründen ist zwar die geografische Situation klar, allerdings spielen da nicht immer die Fische mit, die mal von woanders hergeschwommen kommen und auch mal wieder wegschwimmen. 

Nun kommt der Kohlenstoffzauber: Es wird einfach vorausgesetzt, dass emittierter Kohlenstoff auf Teufel komm raus "gebunden" oder "absorbiert" werden muss. Es wird im Sinne der "Gerechtigkeit" davon ausgegangen, das ein Mensch im kalten und industrialisierten Finnland gefälligst genau so wenig Kohlenstoff in die Luft zu pusten hat, wie ein Bewohner des warmen und kleinagrarisch geprägten Malawi. Der darf dann aber gerne die in Finnland hergestellten Handys benutzen und darf sich dabei als ökologisch korrekter Erdbewohner fühlen. 

Aber auch die Kategorien Weideland, Ackerland und Siedlungsflächen sind irreführend, weil in sich derartig unterschiedlich in Artenvielfalt, Biomasse und Regenerationsfähigkeit, dass es Einen grausen mag, hier Alles über einen Kamm geschoren zu sehen. 

Eine Weide in Schleswig Holstein mit einer Weide im Mato Grosso gleichzusetzen, ist schlichtweg Unsinn. Ein hochproduktiver, weitgehend Unkraut- und schädlingsfreier Acker in Meck-Pomm lässt sich in puncto Biodiversität u.a. keinesfalls mit einer im Wanderfeldbau bewirtschafteten Parzelle im Kongo vergleichen. 

Dass in Deutschland die Städte eine höhere Biodiversität aufweisen als ihr agrarisches Umland, dürfte sich mittlerweile in interessierten Kreisen herumgesprochen haben. Auch dass sich beispielsweise Berlin in dieser Hinsicht himmelweit von Sao Paulo unterscheidet, dürfte als bekannt vorausgesetzt werden.

Dass punktuell intervenierter tropischer Regenwald eine höhere Biodiversität aufweist, als unberührter "jungfräulicher" Urwald ist bereits erforscht, aber weniger bekannt.

Auf unserer Erde häufig vorkommende und flächenmässig durchaus relevante Mischnutzungsflächen - kleinflächiger Acker, Obst- und Gartenbau durchsetzt mit Siedlungen, Wiesen, Gewässern, Hecken, Hainen, Gebüschen und Einzelbäumen - erscheinen überhaupt nicht in diesem Schema, auch wird die Dynamik von Nutzungsrotationen - Acker und Weide versus Brache nicht berücksichtigt. Sowohl Mischnutzungsflächen, als auch rotative Nutzung können aber einen hohen Grad an Biodiversität und Biomasse beinhalten und sind somit "ökologisch" wertvoll.

Sieht man sich die Rangliste des Ökologischen Fussabdrucks pro Land pro Person von 2007 (siehe Grafik Fig. 17 des „2010 living planet report“) auch nur oberflächlich an, sticht sofort ins Auge, dass sie bestimmt wird durch die meist sehr hohen Anteile von "Kohlenstoffflächen". Diese verzerren das Bild in vielen Fällen recht erheblich zuungunsten von Ländern, die ihre Ressourcen ansonsten durchaus vernünftig bewirtschaften und von daher eher einen der hinteren Plätze verdient hätten.

Nun ist man versucht zu fragen, wo denn der ganze Kohlenstoff herkommt, der da in die Luft geblasen wird. Gibt es die 2,5 oder 5 Erden nicht nur virtuell, sondern irgendwo in erreichbarer Nähe wirklich, oder kommt die Kohle etwa vom Mars oder von der Venus?

Es scheint, als könne man heutzutage mit Kohlenstoff (hierzu siehe auch: http://www.eike-klima-energie.eu/) nicht nur politischen Druck ausüben, sondern auch jede Menge Kohle machen: NGOs (Nichtregierungs-organisationen) stocken Personal, Gehälter und Dienstreisen auf, der Wissenschaftsbetrieb erfreut sich steigender Zuwendungen, die Consultingindustrie wird mit Aufträgen überschwemmt, regierungsamtliche Umverteilungsorganisationen erfreuen sich steigender Aufmerksamkeit und Budgets.

Mit Kohlenstoff (Zertifikatshandel, REDD) und Fussabdruck (Forschung, Projektvorbereitende und -begleitende Gutachten, Ausgleichszahlungen) im Rücken können Heere von ansonsten unter- oder gar nicht beschäftigten Jungakademikern und Lobbyisten ein auskömmliches Dasein fristen. Ganz zu schweigen natürlich von den Flugunternehmen und dem Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe, die von dem steigenden Konferenzaufkommen profitieren, von den Energiekonzernen, die den erhöhten Bedarf an elektrischer Energie für Internetserver und Datenverarbeitung liefern müssen und von der Finanzindustrie, die die finanziellen Umverteilungen technisch und administrativ bewerkstelligen.

Aber es gibt auch kostenneutrale Rettung, wie uns "mein fussabdruck" aus Österreich verkündet: "Footprint vermittelt nicht nur anschaulich die ökologischen Grenzen unseres Planeten, er zeigt auch, welche Maßnahmen jede(r) persönlich gegen die Zerstörung unseres Planeten setzen kann. Aus der Vielzahl von Möglichkeiten, den persönlichen Footprint zu reduzieren, stechen die 4 wirkungsvollsten Maßnahmen hervor:
  • So gut wie nie mit dem Flugzeug fliegen.
  • Deutlich weniger, langsamer und möglichst nie allein mit dem Autofahren.
  • Weniger Fleisch und tierische Produkte essen, sowie lokale und jahreszeitgerechte Bioprodukte bevorzugen.
  • Kompakt Wohnen, d.h. Achten auf beste Wärmedämmung, Versorgung mit Solarenergie bzw. Ökostrom und Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln. ...
...
Neben den persönlichen Konsum- und Verhaltensänderungen können Sie durch die Unterstützung von Programmen, die sich für die Bewahrung der Natur einsetzen, mithelfen, laufende Schäden einzuschränken und damit die Bioproduktivität unseres Planeten zu stabilisieren oder sogar zu verbessern. Zugleich ist breites politisches Engagement gefordert. Denn ohne prinzipielle Veränderungen in der Art und Weise, wie wir wirtschaften und konsumieren, bleiben viele persönliche Maßnahmen ein Tropfen auf dem heißen Stein." 

Und somit hätten wir dann, um die Welt (und uns) zu retten, die Auswahl zwischen der "protestantischen Variante" - lutherisches "Fleischabtöten" nach den Thesen 1 - 7 des Wittenberger Mönches der 95 Thesen
  1. Da unser Herr und Meister Jesus Christus spricht: "Tut Buße" usw. (Matth. 4,17), hat er gewollt, dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sein soll.
  2. Dieses Wort kann nicht von der Buße als Sakrament - d. h. von der Beichte und Genugtuung -, die durch das priesterliche Amt verwaltet wird, verstanden werden.
  3. Es bezieht sich nicht nur auf eine innere Buße, ja eine solche wäre gar keine, wenn sie nicht nach außen mancherlei Werke zur Abtötung des Fleisches bewirkte.
  4. Daher bleibt die Strafe, solange der Haß gegen sich selbst - das ist die wahre Herzensbuße - bestehen bleibt, also bis zum Eingang ins Himmelreich.
  5. Der Papst will und kann keine Strafen erlassen, außer solchen, die er auf Grund seiner eigenen Entscheidung oder der der kirchlichen Satzungen auferlegt hat.
  6. Der Papst kann eine Schuld nur dadurch erlassen, daß er sie als von Gott erlassen erklärt und bezeugt, natürlich kann er sie in den ihm vorbehaltenen Fällen erlassen; wollte man das geringachten, bliebe die Schuld ganz und gar bestehen.
  7. Gott erlässt überhaupt keinem die Schuld, ohne ihn zugleich demütig in allem dem Priester, seinem Stellvertreter, zu unterwerfen. (Überflüssig zu kennzeichnen, wer denn diese "Priester" sind, denen wir uns fussabdruckmäßig zu unterwerfen haben!)
und der "katholischen Variante": 

Sündigen und Ablass zahlen 

- oder beide Varianten - Fleisch abtöten und zusätzlich zahlen?

Trampelt nicht fröhlich auf der Erde herum, Ihr Sünder!

oder sollte es etwa eine dritte Option geben, eine vierte, fünfte, etc.? 

2 Kommentare:

  1. Ja, der ökologische Fußabdruck ist die Zahl, die dann als Preis an der virtuellen Kasse aufleuchtet. Für den lebendigen Eintritt in die Erdenwelt ist künftig ein Obulus zu entrichten, glaubt man den Fußabdruckbewertern. Leider kann dieser nicht mit einer Einmalzahlung abgegolten werden, sondern wird als Dauergreifhand im Portemonaise etabliert.
    Klar, die mit einer negativen Zahl, so es denn überhaupt vorkommen kann, bekommen was. Nur, ist dazu ein erheblicher Verwaltungsaufwand notwendig, der die eigentlichen Nutznieser des Kassenbetriebes gebiert - Die unproduktive Verwaltungsbürokratie. Wie will man denn auch die Unzahl an Philosophen, Soziologen, Psychologen, Politikwissenschaftler..., kurz die vielen lieben Welterklärer beschäftigen?

    Mein persönliches Fazit daraus ist schlicht - Trampelt nicht fröhlich auf meinen Nerven herum, ihr Quatschköppe.

    Beste Grüße B.

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  2. Sehr geehrte(r) Frau (Herr) B,

    danke für den gescheiten Kommentar. Sie haben nicht nur klare Kriterien, sondern können diese auch deutlich zu Bildschirm bringen. Wie wäre es mit einem Gastbeitrag zum Blog, evtl. als Autor im Sinne von Fiktionen und Fakten?

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